Ein Besuch im Humboldt Forum

Lieber Freund,

Du wolltest von mir wissen, ob ich Dir als Blinder und Sehbehinderter einen Besuch des Humboldt Forums empfehlen kann.
Allein, ohne Begleitung.
Eindeutige Antwort: Ja.
Warum ich mir da so sicher bin?
Nun, ich habe diesen Besuch selbst gemacht und will Dir davon berichten.

Den Weg zum Humboldt Forum fand ich relativ leicht, auch ohne Hilfe. Ich kannte ja den Palast der Republik, an dessen Stelle das Humboldt Forum heute steht, noch aus DDR-Zeiten, als ich noch besser sehen konnte, und war mehrmals dort gewesen. Und mein Vater hat sogar das Schloss, das 1950 abgerissen wurde, noch gekannt, und mir oft davon erzählt. Ich empfehle Dir allerdings, die Wegbeschreibung vom U-Bahnhof Museumsinsel aus zu benutzen, die Du auf diesen Seiten ganz am Ende findest. So kommst Du sicher vor dem Haupteingang des Gebäudes auf der Westseite an.

Da stand ich nun also etwas aufgeregt vor dem großen, großen Eingang, durch den einst Kaiser Wilhelm schritt. Die Aufregung legte sich schnell, denn das Bodenleitsystem führte mich, nachdem ich den Behinderteneingang passiert hatte – die große Drehtür links daneben fürs „normale Publikum“ benutzte ich natürlich nicht – schnurstracks geradeaus zu den Kassen. Dort wurde ich freundlich begrüßt und darüber informiert, für welche Ausstellungen ich Eintritt zu bezahlen habe, welche kostenfrei sind und so weiter. Anschließend allerdings ein Dämpfer: der Infotresen, an dem ich mir die Humboldt Forum App auf mein Smartphone laden wollte, ist nicht an das Leitsystem angeschlossen. Das betrifft auch andere Bereiche des Gebäudes. Und der Dämpfer war ja auch nur ein kleiner Dämpfer, denn eine freundliche Mitarbeiterin – im Humboldt Forum sind alle Mitarbeiter freundlich und hilfsbereit – brachte mich zum Infotresen hinüber, der in Sichtweite der Kasse liegt. Hier am Infotresen bekam ich viele Informationen, die für mich beziehungsweise für uns, lieber Freund, als Blinde und Sehbehinderte wichtig sind, wenn wir in den vollen Genuss des Hauses, in dem es tatsächlich viel zu erleben gibt, kommen wollen. Mit Unterstützung eines Mitarbeiters lud ich nun die Humboldt Forum App auf mein Smartphone. Die App sollte mich durch das Ethnologische Museum, das ich mir ausgesucht hatte, führen. Man kann freilich auch auf den Medienguide verzichten und sich einer Führung anschließen, wenn man mit anderen Besuchern in Kontakt kommen will. Lass uns einfach demnächst einmal gemeinsam an einer Führung teilnehmen, lieber Freund. Ich schlage die „Hör- und Tastführung für Erwachsene mit und ohne Sehbeeinträchtigung“ unter der Überschrift „Ungehindert – Ethnologischen Sammlungen“ vor. Sie kostet acht Euro pro Person, ermäßigt vier Euro, und dauert zwei Stunden. Mit der App ausgerüstet, marschierte ich los oder zivilisierter ausgedrückt, machte ich mich auf den Weg ins Ethnologische Museum. Dort würden mich insbesondere die nachgebauten alten Schiffe aus Ozeanien interessieren. Das Ethnologische Museum ist eine Dauerausstellung und sein Besuch kostenfrei.

Zunächst führte mich das Bodenleitsystem zu der Garderobe, die sich im Erdgeschoss links neben dem Foyer befindet. Dort konnte ich meinen Mantel und meinen Rucksack abgeben. Auf der rechten Seite neben dem Foyer gibt es ebenfalls eine Garderobe, allerdings nur mit Schließfächern, was nicht so einfach ist, wenn dort Gedränge herrscht. Die „Toilettenfrage“ löste ich, indem ich die Behindertentoilette neben der Garderobe nutzte, die ich über das Leitsystem erreichte. Zu den „normalen“ Toiletten gelangt man nur über eine Treppe ohne Leitsystem. Das betrifft sowohl die linke als auch die rechte Garderobe. Auf den anderen oberen Etagen sind die Toiletten aber problemlos für uns erreichbar, erfuhr ich später. Anschließend erklomm ich die Treppen hinauf in die zweite Etage, in der das Ethnologische Museum untergebracht ist. Ursprünglich wollte ich mit den Rolltreppen fahren, diese sind aber, im Gegensatz zu den Treppen und zu den Aufzügen, nicht an das Leitsystem angeschlossen.

Im Einführungsraum des Ethnologischen Museums, neudeutsch Introraum genannt, wurde ich vom Leitsystem zu einem taktilen Grundrissplan geführt, auf dem ich die Aufteilung der Räume und die Lage der Taststationen ertasten konnte. Sehr praktisch fand ich den Blindenstockhalter an der Seite des Grundrissplanes, so dass ich die Hände frei hatte. Danach lief ich am Bodenleitsystem entlang und von der Humboldt Forum App geführt durch die Ausstellung. Meine Tour dauerte 45 Minuten und machte an acht Taststationen, sogenannten „Zwei-Sinne Stationen“, halt. Es gibt auch Geruchsstationen, deshalb der Name. An fast jeder Station fand ich Tastobjekte und vor und daneben in Braille- und Profilschrift Informationen zu diesen Objekten. Ich hatte auch die Gelegenheit, selbst etwas zu gestalten, so zum Beispiel im Ozeaniensaal (den ich unbedingt besuchen wollte, Du erinnerst Dich, lieber Freund), wo ich an einer Taststation kleine Segel aus Bast flechten konnte. Im Rahmen einer Führung kann man im Ozeaniensaal sogar ein Clubhaus aus Palau oder eines der Boote aus Fidji betreten. Ein Höhepunkt war für mich der Hörraum im Zentrum des Ausstellungsbereiches, wo eine aufwändige Technik dreidimensionale Hörerlebnisse erzeugt. Das können Dokumentationen, aber auch richtige Klangkunstwerke sein. Ich hörte zuerst originale Geräusche aus einem Gefängnis, anschließend hatte ich das Gefühl mitten in einem Symphonieorchester zu sitzen. Apropos Sitzen, der Hörraum ist mit bequemen Sitzmöbeln ausgestattet. Die Hörstücke wechseln alle 20 Minuten. Die Räume des Museums sind übrigens großzügig gestaltet und nicht mit Exponaten „vollgestopft“, so dass man sich nicht ständig auf die Füße tritt. Und wenn man eine Frage hat, kann man sich, wie schon erwähnt, an die freundlichen Mitarbeiter wenden.

Nach dem Besuch des Ethnologischen Museums stand ein zweiter Höhepunkt bevor, der Besuch der Dachterrasse des Gebäudes. Hierfür muss man sich an der Kasse eine Eintrittskarte besorgen mit einem Zeitfenster, innerhalb dessen man die Terrasse besuchen darf. Das hieß, dass ich noch einmal ins Foyer zur Kasse zurück musste, hatte aber den Vorteil, dass ich vom Foyer aus mit dem Aufzug direkt hinauf zur Terrasse hinauf fahren konnte. Die Aufzüge sind an das Leitsystem angeschlossen, und vor ihren Türen stehen, zumindest im Erdgeschoss, Mitarbeiter, die die Eintrittskarten kontrollieren und natürlich auch wieder sehr hilfsbereit sind. Was in meinem Fall aber nicht notwendig war, denn die Tasten in den Aufzügen sind mit einer Profilschrift versehen, so dass ich die Taste mit der Nummer der Dachterrasse selbst finden und drücken konnte. Außerdem gibt es Audioansagen. Von der Dachterrasse selbst nur so viel, lieber Freund: Hier gibt es Reliefkarten, auf denen die Umgebung des Humboldt Forums – die Straße Unter den Linden, die Marienkirche, das Rote Rathaus und so weiter – und an anderer Stelle die Kuppel des Gebäudes, das ja mal ein Schloss war, ertastbar sind. Man sollte die Dachterrasse als Blinder und Sehbehinderter allerdings nicht ohne Begleitperson betreten! Auf den Besuch des Cafés und Restaurants „Baret“ auf der Dachterrasse verzichtete ich. Diesen Besuch möchte ich lieber mit Dir, lieber Freund, gemeinsam machen. Es ist doch schöner, wenn man sich mit jemandem unmittelbar über seine Eindrücke austauschen kann.

Da ich jetzt bereits mehrmals die Freundlichkeit der Mitarbeiter des Humboldt Forums erwähnt habe, muss ich allerdings noch meinen Eindruck hinzufügen, dass nicht alle ausreichend über die Möglichkeiten beziehungsweise Einschränkungen für uns blinde und sehbehinderte Besucher unterrichtet sind. Vielleicht wäre hier einmal eine Schulung angebracht. Oder ist das zu viel verlangt?

Zum Schluss will ich Dir noch von dem wunderbaren Buch erzählen, das ich in dem Shop in der Passage im Humboldt Forum kaufte und in dem ich seitdem täglich blättere. Ja, ein Buch, Du hast richtig gehört, lieber Freund. Es heißt „Vom Kloster zum Humboldt Forum. 700 Jahre Geschichte und Architektur. Ein Buch zum Tasten, Sehen und Hören“ und lädt mit vielen Tastbildern und mit Texten in Großdruck und in Brailleschrift dazu ein, die Geschichte des Gebäudes kennenzulernen. Das Buch kann man zum Beispiel im Shop an der Passage erwerben. Ich empfehle das allerdings online, da das Geschäft nicht ans Leitsystem angeschlossen ist und die Räume sehr unübersichtlich gestaltet sind. Will sagen, es gibt zahlreiche Stolperfallen.

So, das war mein Bericht über meinem ersten Besuch im Humboldt Forum. Wenn Du Lust bekommen hast, einmal mitzukommen oder vielleicht auch allein hinzugehen, würde mich das sehr freuen.